Schokolade: Wer hat sie erfunden...?

...Nicht die Schweizer, sondern die Azteken. Die Kulturgeschichte der Schokolade

Weihnachten ohne Schokolade? Kann man sich kaum vorstellen. Dabei sind die beiden noch nicht lange so unzertrennlich: Christbaumschmuck aus Schokolade kam erst nach dem Zweiten Weltkrieg auf. Den ersten mit Schokolade gefüllten Advents-kalender gabs 1958. Und während Jahrhunderten was Schokolade ohnehin den Königen und Fürsten vorbehalten – ein exotischer Luxusartikel aus dem fernen Amerika.

Die Kakaofrucht, aus der die Schokolade hergestellt wird, stammt ursprünglich aus den feuchten Tropenwäldern Mittel- und Äquatorialamerikas. Vermutlich haben die Olmeken, die zwischen 1500 und 400 v. Chr. die Golfküste Mexikos besiedelten, den Kakaobaum domestiziert.

Sowohl die Mayas wie später die Azteken liebten Schokolade. Der Legende nach war sie ein Geschenk der Götter. Aus der Frucht des Kakaobaums brauten die Azteken Xocoatl, ein bitteres, fettreiches Schaumwasser, das sie mit Vanille, Paprika oder Chili würzten und kalt genossen. Xocoatl war ein Luxusprodukt, das man nur zu bestimmten Gelegenheiten trank. Bekannt war auch schon der medizinische und kosmetische Wert. Zudem diente die Kakaobohne als Zahlungsmittel.

Als der spanische Eroberer Hernando Cortez 1519 nach Mexiko kam, empfing ihn der Azteken-Herrscher Montezuma mit Xocoatl. Irrigerweise hielt er den fanatischen Schlächter zunächst für einen wiedergekehrten Gott. Cortez’ Begleiter berichteten später, Montezuma habe täglich 50 Tassen Schokolade getrunken. Den Europäern schmeckte die braune Brühe weniger. Ein «Säugetränk» sei das, meinte der Mailänder Girolamo Benzoni, der um 1550 Mittelamerika bereiste.

Die Adligen tranken ihre Schokolade halb im Liegen

Auf welchen Weg Xocoatl nach Europa kam, ist nicht belegt. Vermutlich hat Cortez selbst die ersten Kakaobohnen 1528 am spanischen Hof präsentiert, wie die deutsche Historikerin Annerose Menninger in ihrem Standardwerk «Genuss im kulturellen Wandel» schreibt. Die erste Schiffsladung Kakao lief 1585 von Mexiko nach Sevilla aus.

Lange hatte die spanische Krone ein Monopol. Erst nach 1660 begannen Engländer, Franzosen, Holländer und Portugiesen in ihren eigenen Kolonien Kakao anzubauen. Eine typische «Kolonialware» ist Schokolade bis heute geblieben. Die Rohstoffe kommen aus dem Süden, konsumiert und Geld verdient wird im Norden.

Auch in Europa blieb die Schokolade ein Luxusartikel. Anders als bei den Azteken wurde sie nun heiss getrunken. Die Zugabe von Zucker machte sie bekömmlich und liess sie im 17. Jahrhundert zum Statussymbol des Adels und hohen Klerus werden.

Bevorzugt tranken die Höflinge das süsse Getränk zum ausgedehnten Frühstück. Während die bürgerliche Familie aufrecht am Tisch sass und hastig Kaffee trank, um wach zu werden und dann Geld zu verdienen, schlürften die Adligen ihre Schokolade müde-lässig, halb im Liegen. Dazu naschte man Gebäck und studierte Liebes-briefchen. «Die Schokolade kultivierte das allmorgendliche Erwachen einer untätigen Klasse zum gepflegten Nichtstun», kommentierte der Kulturhistoriker Wolfgang Schivelbusch.

Die Zürcher untersagten den Ausschank der Schokolade

Vom französischen Sonnenkönig Louis XIV. über Englands Charles II. bis zum Habsburger Kaiser Karl VI. – die gekrönten Häupter Europas tranken Schokolade. Stets hatte der Genuss einen erotischen Beigeschmack. Casanova behauptete, Schokolade eigne sich besser als Champagner, um die Frauen zu verführen.

Zwei Faktoren trugen zum Erfolg der Schokolade bei: Schon früh erkannten die Ärzte ihren hohen Nährwert und den medizinischen Nutzen. So wurde sie unter anderem gegen «überflüssigen Stuhlgang», Fieber und Syphilis eingesetzt.

Zudem hatte sie den Segen des Papstes: Nachdem es in Mittelamerika zu regelrechten Schokoladen-Orgien gekommen war, musste Papst Pius V. entscheiden, ob das nahrhafte Getränk weiterhin während der Fastenzeit getrunken werden durfte. Ahnungslos, dass sogar der eigene Klerus die Schokolade mit Zucker süsste, entschied er 1569: «Dieses Getränk bricht das Fasten nicht.» Ein solch bitteres Gesöff könne er der Christenheit als Bussgetränk nur empfehlen. Davon profitierten besonders die Jesuiten, die über ihr Netz von Klöstern in der Neuen und Alten Welt zeitweise den Kakaohandel beherrschten.

Einspruch kam vom Wiener Mediziner Johann Michael Haider. Der bezeichnete die Schokolade als «Venus-Speise» und wollte sie für den Klerus verboten wissen. Die Wiener Geistlichkeit, der Schokolade offenbar zugetan, war empört. Haiders Dissertation wurde öffentlich verbrannt, sein Doktorvater des Amtes enthoben.

In die Schweiz kam die Schokolade sehr spät. Als der Zürcher Bürgermeister Heinrich Escher 1697 in Brüssel seine erste Tasse Schokolade trank, war die so ausgefallen, dass es die Chronisten festhielten. Doch der sittenstrenge Zürcher Rat sah die neue «Schlemmerey» gar nicht gern. 1722 untersagte er den öffentlichen Ausschank.

Im Vergleich zu den anderen neuen Genussmitteln Tee, Kaffee und Tabak wurde Kakao jedoch selten verboten. Das hatte einen simplen Grund: «Schokolade war einfach zu teuer und deshalb wenig verbreitet», sagt die Historikerin Menninger. Tatsächlich musste man 1735 in Zürich für ein Pfund «gute Italiänisch-Chokolad» drei Taglöhne eines Maurermeisters bezahlen.

Um das Jahr 1800 war Schokolade dem Grossteil der Bevölkerung unbekannt. Erst technische Innovationen ermöglichten eine Massenproduktion. Den Grundstein legte der holländische Apotheker Conrad van Houten. Ihm gelang es 1828, der Kakao-masse das Fett zu entziehen und ein lösliches Pulver herzustellen. Jetzt konnte man feste Schokolade produzieren. Bis dahin hatte man sie fast nur getrunken. Zwei Neuerungen aus der Schweiz veränderten schliesslich die Produktion weltweit: 1875 kreierte Daniel Peter aus Vevey mit Kondensmilch die erste Milchschokolade. Der Berner Rodolphe Lindt schuf 1879 die milde Schmelzschokolade.

Technische Neuerungen, bessere Warenkunde sowie billigere Rohstoffe machten Schokolade gegen Ende des 19. Jahrhunderts für alle erschwinglich. Während die alten Schokolade-Länder Spanien und Italien an Bedeutung verloren, stieg die Schweiz zwischen 1880 und1920 zur Schoko-Weltmacht auf. Drei Gründe waren dafür verantwortlich: Qualität der Produkte, das leicht verfügbare Kapital und Reklame.

Rodolphe Lindt bearbeitete gezielt die edlen Töchterpensionate in der Westschweiz, um seine «Chocolat fondant» weltweit bekannt zu machen. Bilder von Bergen, Kühen und gesunder Milch sprachen die Touristen an. In der Belle Epoque nahm die Werbung derart überhand, dass der Heimatschutz einschritt. Allein an der SBB-Strecke Bern–Bümpliz könne man 102 «Schokoladehelgen» zählen, beschwerte er sich 1906.

Vor allem von Frauen und Kindern konsumiert

Mehr Kopfzerbrechenbereitete den Produzenten etwas anderes: Schokolade wurde vor allem von Kindern und Frauen konsumiert – nicht von Männern. Da kam der Krieg zu Hilfe: Schon in früheren Konflikten hatten Schweizer Firmen grosse Mengen Schokolade an die beteiligten Armeen geliefert. Im Ersten Weltkrieg nahmen die Lieferungen noch zu. Und 1917 stellte Theoder Tobler (Toblerone) befriedigt fest: «So haben jetzt die in den Armeen eingereihten Männer Kakao trinken und Schokolade essen gelernt.»

Zur Massenware wurde die Schokolade erst nach dem Zweiten Weltkrieg. Von 1950 bis heute stieg der jährliche Pro-Kopf-Konsum in der Schweiz von 6,2 auf 11,6 Kilogramm. Mehr geht kaum. Doch die Industrie hat Alternativen bereit: Kakaobutter ist immer häufiger in Kosmetikprodukten wie Shampoos oder Badezusätzen zu finden. Und in Wellness-Oasen gibts «Schokosahnebäder» und «Mousse-au-Chocolat-Massagen».

Neu ist das nicht: Schon die Azteken kannten das entspannende Schokobad – beliebt war es vor allem bei müden Beamten.


© Suuretaler Metzgli

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